Europapolitischer Stillstand blockiert den grenzüberschreitenden Bahnverkehr

Oliver - Team s+v
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22 February 2023 Tempo: 4 minuti
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Güterverkehr s+v
Im Grundsatz sind sich alle einig: der Güterverkehr durch die Schweiz sollte wenn immer möglich per Bahn erfolgen. Doch weil die bilateralen Abkommen mit der EU nicht mehr aufdatiert werden, wird das zunehmend schwieriger. Kürzlich hat der Verband VAP, der die Verlader und Wagenhalter im Schienenverkehr vertritt, Alarm geschlagen. VAP-Generalsekretär Frank Furrer erklärt gegenüber stark+vernetzt, mit welchen Herausforderungen seine Branche aktuell zu kämpfen hat.

Frank Furrer, der VAP hat im Dezember die Alarmglocke angeschlagen: Die Schweiz verliere per Ende 2023 den Zugang zur Datenbank «One Stop Shop» (OSS) der europäischen Eisenbahnagentur. Wozu dient OSS?

Mit dem 4. Bahnpaket hat die EU die Zulassungsverfahren international harmonisiert. Damit wurden sowohl die Verfahrensdauer für Mehrländerzulassungen deutlich beschleunigt als auch Aufwand und Kosten für die Antragsteller gesenkt. Die EU-Agentur ERA führt nun die Verfahren und nutzt dazu OSS als zentrale Daten- und Kommunikationsplattform. Die ERA bezieht die beteiligten nationalen Zulassungsbehörden in den Prüfprozess aktiv ein, so kann auch die Schweiz heute daran partizipieren. Ein Antragsteller reicht also ein Dossier für das Zulassungsverfahren über OSS ein, der erforderliche Austausch erfolgt dann ebenfalls zentral über OSS.

Was bedeutet der Ausschluss betrieblich – was ändert sich für ihre Mitglieder konkret per 1. Januar 2024?

Erlischt dieser Zugang zu OSS, so muss der Antragsteller künftig ein separates und nicht koordiniertes Verfahren mit der Schweizer Behörde BAV führen. Dies hat einerseits doppelte Arbeiten zur Folge und andererseits entfällt die Abstimmung bei Mehrländerzulassungen, mit unbestimmten Folgen für Verfahrensdauer und -erfolg. Es besteht ein grosses Risiko, dass die Antragsteller keine übereinstimmenden Bewilligungen für die EU-Länder und die Schweiz erhalten werden. Das bedeutet einen Rückfall um 25 Jahre, in die Epoche, als die einzelnen nationalen Zulassungsbehörden ohne internationale Abstimmung ihre Verfahren bearbeiteten.

Ihre Branche ist stark auf ein funktionierendes Landverkehrsabkommen mit der EU angewiesen, einen der sieben Verträge der Bilateralen I. Diese werden schon länger nicht mehr aktualisiert. Bekommen Sie das noch anderweitig zu spüren?

Ja – seit Jahren will die Schweiz ein vollwertiges Mitglied der europäischen Agentur ERA werden, denn die ERA ist eine wichtige internationale Institution zur Weiterentwicklung der Eisenbahnen. Die erforderliche Anpassung des Landverkehrsabkommens ist politisch blockiert. Das hat zur Folge, dass jede Zusammenarbeit einzeln verhandelt werden muss. Die Schweiz ist auf den Goodwill der europäischen Stellen angewiesen.

Seit der Annahme des Alpenschutzartikels verfolgt die Schweiz das Ziel, den alpenquerenden Güterverkehr möglichst auf der Schiene abzuwickeln. Gefährdet die Erosion des Landverkehrsabkommens diese Verlagerungsstrategie?

Die Unsicherheiten in Bezug auf die Zulassungsverfahren mit der Schweiz wirken sich negativ auf die Verlagerungsstrategie aus – nicht nur im Transit, sondern auch im Import- und Exportverkehr. Unternehmen müssen sich künftig überlegen, ob sie diese Risiken und Mehrkosten auf sich nehmen sollen, um Schweiz-taugliche Mehrländerfahrzeuge zu beschaffen.

Die EU hat die Schweiz wieder zum Drittstaat zurückgestuft. Damit sind die bestehenden Abkommen mit unseren Nachbarstaaten über die sogenannten Grenzbetriebstrecken nicht mehr gültig. Für Fahrten über die Grenze in einen Grenzbahnhof müssen die Bahnunternehmen die umfassenden nationalen Zulassungsverfahren des Nachbarstaates durchlaufen. Dies bedeutet Mehraufwand und massive Behinderungen für den grenzüberschreitenden Verkehr. Die damit verbundenen Unsicherheiten gefährden die Verlagerung.

Falls die Schweiz und die EU sich über die institutionellen Fragen einig würden und der bilaterale Weg wieder eine Zukunft hätte: Gibt es in Ihrer Branche Potenzial für eine noch bessere Kooperation mit den europäischen Nachbarn?

Auf jeden Fall. Mit dem 4. Bahnpaket hat die EU ein umfassendes Erneuerungsprogramm angestossen. Erstens strebt sie eine Single European Railway Area (SERA) an: International harmonisierte Regeln sollen die bisherigen unterschiedlichen nationalen Vorschriften ersetzen und damit grenzüberschreitende Bahnverkehre vereinfachen. Zweitens benötigt der Bahnsektor dringend technische Innovation, diese Entwicklungen werden in EU-Gremien europaweit koordiniert. Die nationalen Behörden verfügen mit den revidierten EU-Richtlinien über erweiterte Kompetenzen zur nachbarstaatlichen Zusammenarbeit. Und drittens soll die Anerkennung von bestehenden Bewilligungen im Bereich Sicherheitsmanagementsystem, Rollmaterial, Bahnpersonal und Facharbeiten den Bahnbetrieb fördern.

Die EU-Gremien treiben die Innovation des europäischen Bahnsektors voran – da muss sich auch die Schweiz einbringen. Was ist Ihre konkrete Forderung als Vertreter der Verlader und Wagenhalter an die Europapolitik der Schweiz?

Die aktuelle Blockade mit den Ausgrenzungen muss rasch beendet werden. Die Schweizer Politik muss sich klar zur westeuropäischen freien Kultur bekennen und aktiv ihren Beitrag zur Stärkung dieser Kultur leisten. Auch die Schweiz profitiert von vertraglich gesicherten Vereinbarungen zu den benachbarten europäischen Staaten.

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